22. April 2021 Chris

Ein neues Mikrofon

Seit über einem Jahr produziere ich jetzt Podcasts. Absprache, Aufnahme, Konversation (der beste Teil), Postproduktion und Upload. Technisch gesehen kein aufwendiges Unterfangen.

Für die längste Zeit war das AKG 414 mein Mikrofon der Wahl. Womit ich es, wenn ich ehrlich bin, zweckentfremdet habe, da es in diesem Fall die Kanone für den Spatzen ist. 

Ein großartiges, hochauflösendes, rundherum fantastisches Arbeitstier mit detaillierter Raumabbildung, welches, wenn man sich die Messwerte ansieht, womöglich das beste Mikrofon(pärchen) meiner Sammlung ist. Und das, mit Abstand, teuerste.

Wenn ich sage, dass es „zu gut“ für Podcasts ist, meine ich damit: es nimm ZUVIEL auf.
Man hört einfach alles, auch das, was man gar nicht hören will. Leises Atmen, einen winzigen Schmatzer, einen Typen, der hinter geschlossenen, doppelt verglasten Fenster ein angeregtes Telefonat führt.

Ob man will oder nicht, man hört alles.
Dabei will man nichts außer der Stimme.
Explizit nichts außer der Stimme.

Hin und wieder wurden andere Mikrofone ausprobiert. Beispielsweise zwei Shure SM58 in Folge 040. Wir sind durch die Stadt gelaufen und haben über ein Zoom H6 aufgenommen. Und das hat auch gut für mich funktioniert.



Eine Zeit lang habe ich ein Paar Sennheiser 441 genutzt, wie zB. in Folge 030, aber wenn ich ehrlich bin, sieht dieser Broadcast Klassiker besser aus, als er klingt. Viel Gain wird benötigt und ein gewisses Grundrauschen ist nicht zu ignorieren. Man kann es Vintage-Patina nennen, aber es eben nicht ignorieren.

Das Electro Voice RE320, eine Budget-Version des legendären RE20 war okay, aber naja. Es wird vollkommen zu Recht von microphonebasics.com als gute Alternative zu dem Mikrofon bezeichnet, über das ich sprechen möchte.

OH, FOR SHURE

Vor weniger als 10 Jahren nannte bonedo.de das Tauchspulenmikrofon Shure SM7B noch das „wahrscheinlich am wenigsten bekannte Mikrofon (in der Reihe der hier vorgestellten dynamischen Klassiker)“.


Sound and Recording charakterisierte es 2015 als „stillen Helden“ und „ewigen Geheimtipp“, der seine Abnehmer maßgeblich im Broadcasting Bereich fand und gerne als Gesangsmikrofon in amerikanischen Studios eingesetzt wird.



Heute belegt es nicht nur einen ewigen Platz in den Top 10 Verkaufscharts der größten Händler für Musikequipment, es steht regelmäßig auf Platz 1. Und zwar nicht in der Kategorie „Mikrofone“, sondern im Gesamtvergleich. Es verkauft sich besser als Gitarrensaiten!



Es ist, und das nicht zuletzt dank seiner ungewöhnlichen Optik, in jedem dritten Youtube Video zu sehen und zu erkennen, wird von jedem zweiten Podcaster genutzt und ist zur ersten Wahl in jedem halb ambitionierten Homestudio geworden.
Es scheint, als wäre es knappe 40 Jahre nachdem Michael Jackson das Vorgängermodel SM7 auf „Thriller“ verwendet hat, DAS Mikrofon für alle die, die keine Angst vor der XLR Verbindung haben. Dazu später mehr.

JUST BELIEVE THE HYPE

Aus Gründen, die sich mir nie wirkliche erschlossen haben, übte es schon immer einen Reiz auf mich aus, die noch bessere Alternative zum Etablierten zu finden. Womöglich wollte ich gerne cleverer sein als alle anderen.

Entsprechend schwer fällt es mir, einzugestehen, dass ein 0-8-15-jeder-kennt-und-nutzt-es-Mikro das beste Werkzeug für den Job ist. Aber so ist es.

Der, später zur Gewissheit erstarkende Verdacht regte sich schon bei der ersten Aufnahme. Damals nutze ich ein geliehenes Exemplar von Paul Boos, drehte den Gain Regler des Apollo Interface auf den beachtlichen Wert von +60db (+65 db ist das Maximum) und hörte nicht mal die Idee eines Rauschens.
Die Stimme war präsent und auf angenehme Art dynamisch eingeschränkt. Sie verblieb in einem sehr genau umrissenen Spektrum zwischen laut und leise, hatte einen vollen Klang ohne hörbar überbetonte Frequenzen oder nennenswerte Nahbesprechungseffekte. Gleichzeitig waren die Umgebungsgeräusche reduziert und der Raum wurde, insbesondere im Vergleich zum AKG 414, deutlich reduzierter und indirekter abgebildet.

Und ja, der Vergleich von Äpfel & Birnen, bzw. dynamischen & Kondensator Mikrofonen ist mir bewusst.

Ich bin der Ansicht, dass man von jedem Signal innerhalb einer Produktion oder Komposition eine bestimmte, mehr oder minder konkrete Vorstellung hat, was Klang und Funktion angeht. Und die Wahl des richtigen Mikrofons am Anfang der Signalkette kann das Erreichen dieser Vorstellung immens unterstützen und vor allen Dingen den Aufwand im Prozess der Produktion massiv verringern.

50% der PlugIn Kette, die ursprünglich zur Signalbearbeitung diente, wurde rausgeschmissen und das Ergebnis kam trotzdem der angestrebten Idealvorstellung näher als jemals zuvor. Das teilweise exzessive Editing wurde ebenfalls auf ein gesundes Maß zurückgeschrumpft, da die teilweise arg störende Raumakustik nur noch minimal wahrnehmbar war.

Es ist eine Henne / Ei Diskussion, wenn man die Frage stellt, ob der Konsum vieler, mit dem Shure SM7B aufgenommenen Podcast dazu führt, eben dieses Klangbild als ideal wahrzunehmen und es reproduzieren zu wollen.
Und Henne / Ei Diskussionen können Spaß machen, sind aber selten zielführend.

Ich möchte an dieser Stelle zwei Dinge festhalten:

01. das Mikrofon sorgt dafür, dass das Ergebnis besser klingt und der Weg zum Ergebnis einfacher verläuft

02. Shure gibt mir keinen Cent für diesen Text und ich empfinde das als ein verhängnisvolles Versäumnis

XLR vs. USB

In den letzten Jahren ist eine beachtliche Anzahl von „USB Mikrofonen“ auf den Markt gekommen. Produkte wie das Rode NTUSB oder das TONOR Q9 sind Bestseller (allerdings nicht im Instrumentenhandel) und das SHURE MV7 welches die besten Eigenschaften des SM7B mitbringen soll hat nicht nur eine (mini)USB Schnittstelle, sondern auch XLR und einen Kopfhörerausgang.

Ich verstehe den Plug n Play Gedanken dahinter ebenso wie das Bestreben des Marktes, es dem Kunden zu unkompliziert wie möglich zu machen. Dennoch fällt Schall in das Hoheitsgebiet der Physik und ist somit analog.
Und es beruhigt mich, zu wissen, dass ein vollständig analog aufgebautes Werkzeug eben nur in dieser Domäne glänzen muss und nachfolgende Prozesse wie AD Wandlung und Lautstärkenanpassung anderen, im besten Fall hochwertige Komponenten überlassen werden kann.

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